Wenn Frauen Opfer häuslicher Gewalt sind...

Beratungsangebot bietet Hilfe auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben – Zahl der Betroffenen ist hoch

 

Erniedrigt, geschlagen oder missbraucht: Alleine im südlichen Oberbayern hat die Polizei im vergangenen Jahr fast 1500 Fälle von häuslicher Gewalt registriert. In den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land kümmert sich seit einem knappen Jahr Sabine Weiß vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) um die Opfer. Sie ist selber erschrocken darüber, wie viele Frauen der körperlichen, seelischen oder sexuellen Gewalt ihres Partners ausgesetzt sind.

Die Erfahrung hat Sabine Weiß gelehrt, wie wichtig es für die Frauen ist, einfach einmal mit jemanden über ihr Leid sprechen zu können. In den geschützten Räumen der SkF-Beratungsstelle in Traunstein trauen sie sich oftmals auch, ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Die Beraterin ist dann zunächst nur Zuhörerin. »Viele Frauen erzählen mir, dass sie von Verwandten und Freunden immer wieder gesagt bekommen: 'Du musst dich trennen'. Aber da ist niemand, der bereit ist, den Weg zusammen mit ihnen zu gehen.« Sabine Weiß ist es.

Die Sozialpädagogin leitet die SkF-Beratungsstelle für Schwangerschafts- und Familienfragen in Traunstein. Im vergangenen Jahr absolvierte sie eine Zusatzausbildung, ist seither Fachberaterin für Psychotraumatologie. Seit Oktober 2015 betreut sie nun auch Opfer von häuslicher Gewalt und Stalking, hilft ihnen zurück in ein gewaltfreies und selbstbestimmtes Leben. Ihre Hilfe ist kostenlos und anonym, die Interventionsstelle ist gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration.

Die Zahlen des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd lassen aufhorchen: Die Beamten mussten sich im vergangenen Jahr mit 1492 Fällen von häuslicher Gewalt beschäftigen. Diese findet überwiegend in Ehe (40,3 Prozent) und Partnerschaft (23,2 Prozent) statt. Am zweithäufigsten kommt es zu Gewalt zwischen Ex-Partnern. Die Delikte reichen von Beleidigung bis hin zu Mord und Totschlag.

Bei einer Vielzahl der Fälle spielt Alkohol eine Rolle. Mehr als ein Viertel der Täter sind alkoholisiert, aber auch fast jedes fünfte Opfer. 80 Prozent der Täter sind männlich, bei fast einem Drittel aller Fälle müssen Kinder die verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen miterleben.

Sabine Weiß kommt immer dann ins Spiel, wenn die Polizei im Einsatz ist. Alle zehn Inspektionen in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land kooperieren mit ihr. Nicht ohne Grund: Ihr straffer Arbeitsalltag lässt den Beamten keine Zeit, sich nach einer Akutsituation weiter um die Opfer zu kümmern. Darum lassen sie die betroffenen Frauen eine Einwilligungserklärung unterschreiben und faxen deren Kontaktdaten an Sabine Weiß weiter. Sie nimmt dann Kontakt zu den Opfern auf – zuerst immer telefonisch.

47 Faxe sind bei ihr im Büro seit Oktober 2015 eingetrudelt. 47 Fälle, in denen Frauen aus den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land Opfer von häuslicher Gewalt waren. Eine erschreckend hohe Zahl, wie auch Sabine Weiß findet. Hinzukomme die hohe Dunkelziffer. »Das ist auch ein Zeichen dafür, wie wichtig unser Angebot ist.«

 

Unter den Opfern sind auch taffe Frauen

 

In den vergangenen Monaten hat sie viele Lebensgeschichten gehört und sie weiß, dass keine der anderen gleicht. Häusliche Gewalt gibt es in jeder Nationalität, in jedem Alter und in allen sozialen Schichten. »Da sind auch taffe Frauen darunter, die sich selbst nicht erklären können, warum sie sich das gefallen lassen«, erzählt Sabine Weiß. Einige Frauen würden seit Jahrzehnten in einer Gewaltbeziehung leben.

So unterschiedlich die Frauen und ihre Lebensumstände sind, so verbindet die Opfer von Gewalt doch auch einiges: »Sie haben gelernt, für ihre Verletzungen die unterschiedlichsten Entschuldigungen zu finden«, erklärt die Beraterin. »Und sie suchen die Schuld oft bei sich selbst.«

Darum reagieren viele Frauen auch abweisend, wenn Sabine Weiß das erste Mal bei ihnen anruft. »Viele spielen ihre Situation hinunter«, erklärt die Beraterin. Doch sie lässt so schnell nicht locker, kontaktiert die Frauen mindestens noch ein zweites Mal. Und wenn sie Kinder haben, dann versucht sie ihnen auch klar zu machen, was das für diese bedeutet. »Bei Kindern, die in der Familie jahrelang Gewalt miterleben, ist die Gefahr groß, dass sie in ihrem späteren Leben selbst Konflikte mit Gewalt lösen.«

Wenn die Frauen dann in die Beratungsstelle kommen, sind sie oftmals froh, sich ihren Kummer endlich von der Seele reden zu können. Danach geht es darum, ihnen aufzuzeigen, wo sie Hilfe bekommen können – von Ehe- und Familienberatungsstellen über ambulante oder stationäre Therapieeinrichtungen bis hin zum SkF-Frauenhaus in Rosenheim, an das Sabine Weiß mit ihrer Beratungsstelle angeschlossen ist.

Oft sind es auch ganz praktische Dinge, die die Sozialpädagogin in die Wege leitet. Eine neue Wohnung, ein Job – vieles gehört organisiert, wenn sich eine Frau entscheidet, aus ihrer Gewaltbeziehung auszubrechen und auf eigenen Beinen zu stehen. Sabine Weiß begleitet die Frauen zu Behörden oder Gericht. Immer wieder sind auch die Kinder in das Hilfsangebot miteingebunden.

 

Einige Frauen haben die Gewaltspirale durchbrochen

 

Für die Beraterin war es aber auch wichtig zu erkennen, dass sie den Frauen nicht alles abnehmen kann. Dass sie auch akzeptieren muss, wenn Frauen sich trotz allem dafür entscheiden, bei ihren Männern zu bleiben. Aber sie ist stolz darauf, dass es mindestens eine Handvoll Frauen geschafft hat, die Gewaltspirale zu durchbrechen und heute ein selbstbestimmtes Leben führen.

Frauen, die Hilfe brauchen, können sich auch von sich aus an die SkF-Beratungsstelle wenden, Telefon 0861/13021. Ein Manko ist, dass es in den beiden Landkreisen kein Angebot für Männer gibt, die unter häuslicher Gewalt leiden. »Da hätten wir auch schon anfragen gehabt«, erzählt Sabine Weiß. Diese Lücke zu schließen, wird sicherlich eine Zukunftsaufgabe sein.                 san

Quellenangabe "Traunsteiner Tagblatt"

 

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